Streuobstwiesen und ihre Entstehung
Entlang der Schwäbischen Alb liegt die größte Streuobstlandschaft Mitteleuropas. 1,5 Millionen Obstbäume sind zu jeder Jahreszeit ein Paradies für Tiere, Pflanzen und Menschen.
Streuobstwiesen sind eine traditionelle Form des Obstanbaus mit hochstämmigen, locker stehenden Obstbäumen. Im Streuobstparadies finden sich hauptsächlich Apfel-, Birn-, Zwetschgen-, Kirsch- und Walnussbäume. Im Gegensatz zu den niederstämmigen Obstsorten in den Monokulturen von Obstplantagen werden Streuobstwiesen naturnah bewirtschaftet. Ein wesentliches Merkmal ist die Mehrfachnutzung: zum einen die Obsterzeugung, zum anderen die Nutzung der Wiesen als Grünland.
Schon zur Römerzeit wurde in klimatisch begünstigten Gebieten Mitteleuropas der Anbau des Kulturapfels betrieben und löste nach und nach seinen wilden Vorfahren, den Wildapfel, ab.
Die Klöster im Mittelalter widmeten sich der Züchtung robusterer Sorten und legten die ersten größeren Obstwiesen an.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurde der Streuobstanbau entlang der Alb durch die absolutistischen Landesherren stark gefördert, um die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern.
So verpflichtete beispielsweise Herzog Karl Eugen die Untertanen zum Pflanzen und Pflegen von Obstbäumen. Wer seine Obstbäume nicht fachgerecht pflegte oder das Nachpflanzen versäumte, machte sich gar des „Baumfrevels“ schuldig. Streuobstwiesen prägten das Landschaftsbild und verbanden Dörfer und Städte. In der Landwirtschafts- und Hauswirtschaftslehre war das Wissen um Pflege und Verarbeitung von Obst wichtiger Bestandteil.
Vielerorts, so auch entlang der Schwäbischen Alb, ersetzte der Obstbau den Weinbau, der durch die Verbreitung der Reblaus und klimatische Veränderungen zunehmend aufgegeben wurde. 1859 gründete Eduard Lucas, bedeutendster Pomologe seiner Zeit, das Pomologische Institut Reutlingen. Dort wurden Baumwarte ausgebildet, über 2.000 Obstsorten angebaut, Geräte und Maschinen ausgetüftelt und Fachbedarf in die ganze Welt verkauft. Der Streuobstanbau hatte zu dieser Zeit große kulturelle, soziale und ökologische Bedeutung.
Die Züchtung von widerstandsfähigen, dem jeweiligen Klima angepassten Obstsorten sorgt für große Vielfalt. In Schwäbischen Streuobstparadies gibt es 3000 Apfelsorten, von denen nur ganz wenige im Handel sind. In den vielen alten Regionalsorten der Streuobstwiesen schlummert ein geschmacksintensives Potenzial für leckere und außergewöhnliche Produkte.
Die Kronenschicht der Obstbäume und die besonnte, lebendige Krautschicht der Wiesen weisen eine außerordentliche Vielfalt von Wiesenkräutern und anderen Pflanzenarten auf.
Streuobstwiesen sind die Heimat von knapp 5000 Tierarten. Für viele gefährdete Vogelarten bietet der Höhlen- und Totholzreichtum ideale Brutstätten und Bäume und Wiesen Nahrungs- und Lebensraum. Hier sind auch Fledermäuse, Igel, Feldmaus und Feldhase zu Hause.
Europas schönste Streuobstlandschaft – das Schwäbische Streuobstparadies
Eine der größten zusammenhängenden Streuobstlandschaften Europas ist das rund 26.000 Hektar große Gebiet zwischen der Schwäbischen Alb und dem Neckar. Rund 1,5 Millionen Obstbäume zeugen zu jeder Jahreszeit von der vitalen Fülle dieser zauberhaften Landschaft.
Im Frühling erfreuen ein duftendes Blütenmeer und summende Bienen, im Sommer locken Bäume voller Kirschen und im Herbst ergeben die reifen Äpfel, Birnen und Zwetschgen ein farbenfrohes Bild. Sogar im Winter entfalten die schneebedeckten Wiesen ihren ganz eigenen Charme.
Die jahrhundertealte Landschaft hütet einen einzigartigen Kulturschatz. Sie beheimatet eine Vielzahl an Mostereien und Brennereien, eine beachtliche Sortenvielfalt, Lehrpfade, interessante Museen, Hochschulen und Hersteller für Streuobstbedarf.
Streuobstwiesen erfüllen auch heute wichtige ökologische und soziale Funktionen, als Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten, als Naherholungsgebiet und Ursprung vielfältiger Qualitätsprodukte.
Wege zur Erhaltung des Streuobstparadieses
Die Anzahl der Streuobstwiesen wurde durch Besiedlung und intensivere Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark verringert. Sie gehören heute zu den am meisten bedrohten Biotopen Mitteleuropas.
Die Bewirtschaftung und Pflege der Streuobstwiesen ist arbeitsintensiv und durch sinkende Erzeugerpreise lohnt sich oft die Mühe nicht. Obst wird im Zeitalter der Globalisierung überall auf der Welt in intensiv bewirtschafteten Plantagen billig produziert. So wird häufig die Nutzung der Wiesen aufgegeben. Es ist der Bevölkerung und Gästen kaum bewusst, wie wertvoll die einmalige Streuobstlandschaft ist.
Der Erhaltung der noch größten Streuobstlandschaft Mitteleuropas widmet sich der Verein Schwäbisches Streuobstparadies. Ziel des Vereins ist der Erhalt und die Vermarktung der wohl schönsten Streuobstlandschaft Europas. Die Kompetenzen, Netzwerke und Aktivitäten der Vereinsmitglieder dienen im Zusammenwirken dem daraus resultierenden gemeinsamen Nutzen.
Aufgaben des Vereins sind im Bereich Marketing und Tourismus Bewusstseinsbildung nach außen und innen, die Entwicklung von Streuobst-Erlebnisrouten, Qualitätsverbesserung bei touristischen Angeboten und deren Vermarktung.
Bei der Bewirtschaftung und dem Naturschutz strebt der Verein einen besseren wirtschaftlichen Ertrag der Bewirtschafter an, bringt innovative Produkte auf den Weg, schafft Fortbildungsangebote für Profis und Laien einschließlich Nachwuchsförderung und entwickelt Maßnahmen zum Erhalt des Streuobstanbaus und zur ökologischen Verbesserung.
Im Schwäbischen Streuobstparadies finden alle Streuobst-Interessierten und -Begeisterten zusammen und sorgen für ein buntes Netzwerk und einen Wissens- und Erfahrungsaustausch.
Paradiesische Veranstaltungen
Der Verein Schwäbisches Streuobstparadies sorgt mit attraktiven Veranstaltungsreihen zu jeder Jahreszeit für unterhaltsame Wissensvermittlung rund um das Streuobst. Auf dem Programm stehen Feste, geführte Wanderungen, Informationsveranstaltungen und Degustationen.
Wie beim traditionellen japanischen Kirschblütenfest bilden Millionen blühender Obstbäume im Schwäbischen Streuobstparadies eine herrliche Kulisse für das Schwäbische „Hanami“. Zahlreiche Blütenfeste und Blütenwanderungen laden ein, in das duftende Blütenmeer entlang der Schwäbischen Alb einzutauchen.
Im Sommer kann man etwas über die Tiere der Streuobstwiesen erfahren. Informationsveranstaltungen beispielsweise über Vogelstimmen, Bienenvölker und Honigernte bieten viel Wis- senswertes. Im Herbst ziehen die zahlreichen Ernte- und Mostfeste Besucher aus Nah und Fern an.
Im Winter geht es heiß her – das Streuobstparadies brennt! Während die Streuobstbäume in der kalten Witterung auf den Frühling warten, brodelt, zischt und blubbert es in den Brennereien und Mostereien. Hier wird den reifen Früchten in mühevoller Arbeit im Brennkessel der Geist der Streuobstwiesen entlockt. Ein breites Angebot an Lehrgängen, Führungen, Schaubrennen und Verkostungen entführt interessierte Besucher in die Welt der Edeldestillate und macht auf die traditionelle urschwäbische Brennkunst aufmerksam. Die hochprozentigen Ergebnisse sind köstlich und wecken Verständnis für die flammende Leidenschaft der Brennkünstler.
Paradiesischer Genuss
Einkehr
Bei einem Wirte wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste;
Ein goldner Apfel war sein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich eingekehret;
Mit süßer Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.
Ludwig Uhland (1787-1847)
Wie in den Eingangsversen des bekannten Gedichtes von Ludwig Uhland kann man auch heute noch die Früchte der Streuobstwiesen genießen. Den vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten sind keine Grenzen gesetzt. Ob als natürlicher Genuss, als Marmelade oder eingeweckter Kompott, als Dörrobst oder Saft, als Most, Likör oder spritziger Sekt: Streuobst ist gesund und schmeckt in jeder Form köstlich.
Zahlreiche leckere Rezepte von der Obstbowle über Apfelpfannkuchen, Obsttorte bis zum Hauptgericht Himmel und Erde (Äpfel, Kartoffeln und gebratene Blutwurst) warten darauf, verkostet zu werden. Guten Appetit!
Paradiesische Erlebnisse
Das Streuobstgebiet bietet vielfältige Möglichkeiten der sportlichen Freizeitgestaltung. Die Wander-Radwege durch die Region führen oft vorbei an herrlichen Wiesen, an Schaugärten und Freilichtmuseen. In vielen gastronomischen Betrieben an Raststationen kann man regionale Obstprodukte kulinarisch genießen.
Empfehlenswert ist der Ermstal-Obstradweg zwischen Reutlingen und Bad Urach, der Wiege des Streuobstanbaus. Die Radwanderer erleben Streuobstwiesen, soweit das Auge reicht, sowie die Felsen des romantischen Albtraufs.
Auch Wanderungen zu Fuß durch die Streuobstwiesen lohnen sich zu jeder Jahreszeit. Tipp: Der 13 km lange recht anspruchsvolle Premiumrundweg „Dreifürstensteig“ bei Mössingen mit einem Höhenunterschied von 568 m, der bei der Freizeitanlage Olgahöhe beginnt und durch idyllische Streuobstwiesen zum sagenumwobenen „Dreifürstenstein“ mit grandiosen Weitblicken bis zum Hohenzollern führt. Von dort gelangt man auf dem Albsteig zum Mössinger Bergrutsch, einem der bedeutendsten Geotope Deutschlands. Über die ehemalige Burg Andeck wandert man durch Buchenmischwälder zum Panoramaweg „Streuobst“ und aussichtsreich weiter zum Ausgangspunkt zurück. Wie alle Premiumwanderwege ist der Dreifürstensteig, dessen Wegzeichen ein roter Apfel ist, perfekt beschildert.
Wichtige Adressen und Telefonnummern
Schwäbisches Streuobstparadies e.V.
Marktplatz 1
D-72574 Bad Urach
Tel. +49 (0)7125 309 3263
Fax +49 (0)7125 309 3266
kontakt@streuobstparadies.de
www.streuobstparadies.de